Mittwoch, 19. Juni 2024 pro Troisdorf-Interview zum Unternehmer-Frühstück beu der S.E.A. GmbH

Komponenten und Systeme der S.E.A. Science & Engineering Applications Datentechnik GmbH in Troisdorf sind in der Klimaforschung, bei Behörden und auch bei vielen Markenherstellern zur Testung von Produkten und im der Weltraumtechnik im Einsatz.

Das 45-Mitarbeiter-Unternehmen investiert rund ein Viertel seines Umsatzes in F+E. „Wir machen Dinge, die sonst keiner macht“, sagen die Unternehmens-Verantwortlichen im Interview mit Christian Seigerschmidt, Vorstandsvorsitzender des Unternehmer-Clubs pro Troisdorf, und dem Journalisten Carsten Seim. Das Unternehmen ist ein Hidden Champion mit Spitzentechnologie von Weltrang. Das Gespräch mit Wolfram Koerver und Sven Petersen fand statt zur Vorbereitung eines Unternehmerfrühstücks bei S.E.A. von pro Troisdorf und der Wirtschaftsförderungsgesellschaft TROWISTA am 19. Juni.

S.E.A. GmbH: „Wir machen Dinge, die sonst keiner macht“

Wie kamen Sie zu Ihrem heutigen Unternehmen?

Wolfram Koerver: Bereits in unserer Zeit als Ingenieurwissenschaftler beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V., DLR, haben mein Kollege Dr. Gerd Schmitz und ich in unserer Freizeit Software-Anwendungen für medizinische Zwecke entwickelt. Im Hauptberuf habe ich damals für die Space Shuttle-Mission gearbeitet, Dr. Schmitz für die russische Mission „Mir“. In den 90er-Jahren erfuhr die Raumfahrt eine Neuorientierung. In dieser Zeit entstand die Idee, ein Unternehmen auszugründen. Mitte der 90er-Jahre haben wir uns mit der S.E.A. auf eigene Füße gestellt. Das DLR hatte uns eine Rückehrgarantie für drei Jahre angeboten, auf unsere alten Stellen zurückzukehren. Und 1995 waren wir plötzlich Unternehmer!

Mit welchen Kundengruppen sind Sie gestartet?

Koerver: Wir haben in den ersten Jahren bewusst nichts aus dem Bereich Luft- und Raumfahrt gemacht. Das hätte uns in Interessenskonflikte gebracht, weil wir als Geschäftsführer des damaligen Start-ups S.E.A. Datentechnik lange in führenden Positionen beim DLR gearbeitet hatten. Wir haben mit Systemen für die Schlafforschung angefangen. Die von uns entwickelten Systeme zur Hirnstrommessung waren damals ein absolutes Novum.

Hirnströme hat man damals mit analog arbeitenden Schreibern aufgezeichnet. Wir haben das digital mit Computertechnik realisiert. Und um auf Ihre Frage zu kommen: Unsere Kunden damals waren Forschungseinrichtungen außerhalb des Luft- und Raumfahrtsektors. Im Lauf der Zeit entwickelten sich Kooperationen mit verschiedenen Unternehmen – und unser Unternehmen wurde zum Selbstläufer.

Sie sind als Software-Entwickler gestartet. Heute bieten Sie Soft- und Hardware an. Wie kam es dazu?

Koerver: In unseren ersten fünf bis sechs Jahren haben wir überwiegend Software entwickelt. Heute machen Soft- und Hardware je die Hälfte unseres Umsatzes aus. Keine Hardware funktioniert ohne Software. Bei uns kommt beides aus einem Haus. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Anbietern, die entweder nur Software oder nur Hardware können.

Was genau bieten Sie heute an?

Koerver: Ich würde das unter die Überschrift stellen: „Wir machen Dinge, die die Industrie nicht von der Stange produzieren kann – und Dinge, die sonst keiner macht.“ Wir verkaufen keine Massenware, sondern individuelle Produkte in sehr kleinen Stückzahlen auf Anfrage. Wir haben dafür eine eigene 3D-Konstruktion und Elektronikfertigung. Wir fertigen kleine Stückzahlen nach Kundenbedarf.

Unser erster Schwerpunkt ist die Funktechnik. Die Einsatzgebiete sind sehr vielfältig. Denn wir sind heute überall von Funktechnik umgeben. So ist beispielsweise WLAN allgegenwärtig. Das reicht vom Autoschlüssel über das Mobiltelefon bis hin zu Computern und Handys, die per Bluetooth miteinander kommunizieren. Vernetzte Waschmaschinen und andere Haushaltsgeräte funken Statusmeldungen aufs Handy. Moderne Autos „wissen“ durch Funksignale heute bereits, dass Sie in der Nähe sind, wenn Sie die Garage betreten. Die im Fahrzeug befindlichen Systeme werden vom Schlüssel aufgeweckt. Bedarf an unserer Prüfsystemen besteht auch im Sektor des autonomen Fahrens und der V2X-Kommunikation.

Können Sie uns Beispiele für Produkte Ihres Unternehmens nennen?

Sven Petersen: Wir produzieren beispielsweise funktechnische Systeme zur Erstellung von Karten über die Netzverfügbarkeit von Mobilfunkanbietern – Mobilfunkvermessung. Vereinfacht ausgedrückt hat jeder unserer Messkoffer 40 Handys eingebaut. Damit fährt man einen bestimmten Bereich ab und misst, welcher Anbieter wo und mit welcher Leistung mit Mobilfunknetzen verfügbar ist. Zu wissen, welche Funkzelle wo ist, kann beispielsweise helfen, vermisste Personen zu orten. Auch für Industriegebiete ist es wichtig, die Funkabdeckung und Leistungsfähigkeit der vorhandenen Netze zu kennen.

Koerver: Wir haben in Troisdorf gerade auf dem Campus der früheren DN eine Funkvermessung durchgeführt. Dort läuft zurzeit ein experimentelles Projekt zur Funksteuerung von Gabelstaplern über ein privates Industrienetz. Daran haben wir uns mit unseren Vermessungsgeräten beteiligt. Funk wird in der modernen Industrie immer wichtiger. Unternehmen wollen wissen, welche Netzbetreiber an ihren Standorten mit welchem Angebot vertreten sind – ob zum Beispiel leistungsfähige 5G-Netze vorhanden sind oder nur 4G. In Zeiten von IOT – dem Internet of Things – wollen Unternehmen wissen, ob sie an einem bestimmten Standort einen Sensor für die Kommunikationen von Daten zur Maschinensteuerung und -kommunikation aufstellen können. Auch „Smartmeter“ etwa für die zentrale Messdatenerfassung von Energie- oder Wasserverbräuchen arbeiten mit Funktechnologie.

Petersen: Gefragt ist unsere Mess-Technologie beispielsweise auch beim Oktoberfest. Für Zigtausende Besucher bauen Provider dort vorübergehend eigene Funkzellen auf, weil das sonst dort vorhandene Netz dem Ansturm nicht standhalten würde. Wir vermessen diese, sodass die Provider sichergehen können, dass beispielsweise Notrufe per Handy auch zuverlässig ankommen. Über unsere Karte lässt sich auch lokalisieren, von welchem Ort der Notruf eingegangen ist.

Wie beurteilen Sie Ihre Marktperspektiven auf diesem Feld?

Petersen: Vor zehn Jahren sind wir mit unseren Funkvermessungsgeräten gestartet. Das Novum unseres Produkts: Damit lassen sich mit nur einer Fahrt die Netze aller Anbieter vermessen. Mit dieser Technologie sind wir Marktführer. Markt- und Anwendungsperspektiven sehen wir beispielsweise auch in europäischen Großstädten. Behörden dort nutzen unsere Geräte bereits. Wir wollen dort aber auch unser Servicegeschäft ausbauen. Damit können wir auch in Deutschland kleinere Kommunen interessieren, für die eine Anschaffung unserer Messgeräte nicht wirtschaftlich ist.

Welchen weiteren Schwerpunkten widmen Sie sich in Ihrem Unternehmen?

Koerver: Unser 2. Schwerpunkt ist Test & Measurement. Beispiele aus der Industrie:

Parksensoren für Autos müssen in Testaufbauten auf Funktion getestet werden. Mit unseren Mess-Werkzeugen gewinnen die Hersteller exakte Daten darüber, wann ein Parksensor was erkennt. Solche Daten, die in Zehntel-Millimeter erfasst werden, brauchen Hersteller, um verlässliche Angaben über die Leistung ihrer Systeme machen zu können. Wir entwickeln auch Mess- und Sensortechnik zum Testen von Funkschlüsseln von Autos. Hersteller dieser Schlüssel müssen sicher sein, dass diese überall auf der Welt mit unterschiedlichen Standards und unter unterschiedlichsten Bedingungen funktionieren. Das wird mit unseren Werkzeugen unter Laborbedingungen getestet.

Wir entwickeln und bauen automatisierte Testsysteme, die Waschergebnisse von Haarwaschmitteln an Haarproben testen können. Wie gut lässt sich Haar danach kämmen? Wie stark lädt es sich statisch auf? Unsere Technik liefert verlässliche Daten dazu. Zurzeit arbeiten wir an einem Roboter, der die Spülergebnisse von Spülmaschinen-Tabs testet. Für die führenden Haushaltsgerätehersteller bauen wir Dauertestsysteme für die Motoren. Wir richten uns mit solchen Systemen an Markenhersteller, die mit Blick auf ihren Ruf dauerhaft beste Qualität bieten wollen und das Geld für unsere nicht ganz billigen Systeme haben. Wir entwickeln Testsysteme zum Beispiel für viele Markenhersteller wie Miele, mit denen Sie beispielsweise die Betriebszeit und Belastungsfähigkeit von Elektromotoren etwa in Waschmaschinen messen können.  Aber auch vermeintlich „einfache“ Komponenten wie zum Beispiel Badarmaturen erfordern umfangreiches Testen zur Sicherstellung hoher Qualitätsstandards. In diesem Bereich unterstützen wir zum Beispiel seit vielen Jahren Grohe intensiv mit Hardware und Software.

Petersen: Wir können Testsysteme für praktisch jeden Bereich und auch für behördliche und nicht-industrielle Kunden wie zum Beispiel das Alfred-Wegener-Institut und das DLR anbieten. Sie nutzen von uns entwickelte Systeme, die beim Überflug in der Arktis die Dicke des Eispanzers messen oder neue Energieträger erproben.

Koerver: Unsere Systeme sind auch in Testständen für Triebwerke der Ariane-Raketen eingebaut.  Wir haben auch die komplette Missionskontrollzentrums-Software für das Kontrollzentrum für die Landekapsel „Philae“ der 2004 gestarteten Rosetta-Mission gebaut, die den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko nach zehnjähriger Reise durch den Weltraum erkundet hat. Wir bauen auch Messstationen und Steuerungstechnik für Windkanäle für Zwecke der Raumfahrt, der Flugzeugentwicklung oder Formel 1-Rennwagen. Hier beispielsweise für Toyota. Wir bauen Anlagen in vielen Dimensionen und für eine Vielzahl von Anwendungen, die messen und die gewonnenen Daten anschließend auswerten können. Auch Unternehmen aus der Region sind herzlich eingeladen, mit uns gemeinsam nach Lösungen zu suchen. OEM-Komponenten von uns finden sich in vielen Produkten rund um die Welt.

Gibt es weitere Bereiche, in denen Sie aktiv sind?

Koerver: Unser dritter Bereich ist die Entwicklung und individuelle Fertigung vor allem für Behörden. Bei uns können Behörden, wissenschaftliche Einrichtungen, aber auch Unternehmen nach Bedarf Komponenten anfragen, bei uns entwickeln und fertigen lassen. Aufträge, die andere auf dem Massenmarkt auch erledigen können, lehnen wir ab. Wir bauen individuelle Komponenten mit einem hohen Anteil an Handarbeit in einer sehr hoch spezialisierten ingenieurwissenschaftlich geprägten Manufaktur.

Können Sie uns etwas über Ihre Mitarbeiterstruktur sagen?

Petersen: Wir beschäftigen 45 Mitarbeiter. Der weit überwiegende Anteil sind Wissenschaftler und hoch spezialisierte Ingenieure, zum Beispiel ein promovierter Elektrotechniker, Diplom-Informatiker, Mathematiker, Techniker, Schaltschrankbauer, Elektromeister, Elektronik-Spezialisten. Der Akademiker-Anteil bei uns ist sehr hoch. Unsere F+E-Quote liegt bei etwa einem Viertel unseres Umsatzes.

Interview: Christian Seigerschmidt, Carsten Seim 

pro Troisdorf-Fact Sheet: S.E.A. Science & Engineering Applications Datentechnik GmbH

  • Gegründet: 1995
  • Geschäftsführung: Wolfram Koerver M. Sc., Geschäftsführender Gesellschafter. Nachrichtentechniker, Master of Science – MS, Luft- und Raumfahrttechnik, Aeronautik und Astronautik, Delft University of Technology, Dr. rer. nat. Gerd Schmitz, Geschäftsführender Gesellschafter. Physikalischer Chemiker, Universität zu Köln, Dr. rer. nat. Sven Petersen, Geschäftsführer.  Physiker, Promotion am DESY/Universität Hamburg im Fachbereich Physik
  • Mitarbeiter: 45 – weit überwiegend Akademiker, Wissenschaftler, Ingenieure, IT-Spezialisten

F+E-Quote: rund 25 Prozent

Geschäftsfelder/Produkte:

  • Schaltschränke, Messtechniklösungen, Testlösungen
  • Testsoftware zur Steuerung von Prüfständen
  • Portable Mess- und Prüfsysteme
  • Entwicklungstester für Elektronik- und Mechatronik-Komponenten
  • Testsysteme für HF-Systeme im Bereich Mobilfunk, autonomes Fahren/V2X, Funksteuerungen, allgemeine Funktechnik, Funküberwachungssysteme
  • Mobilfunkmessysteme und Mobilfunkvermessung
  • Spezialmesssysteme für den Automobilbereich
  • Steuerungs- und Überwachungssoftware für Prüfanlagen und Großprüfstände
  • Elektronikbaugruppen
  • Embedded Software für Mikroprozessoren, für FPGA oder LinuxOS-basiert

Absatzmärkte:

  • Schwerpunkt Deutschland und Europa, in der Funktechnik auch Südkorea, Japan, China und USA.

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