Donnerstag, 29. Februar 2024 pro Troisdorf-Interview zum Unternehmer-Frühstück bei der PGT Thermprozesstechnik GmbH
Die PGT Thermprozesstechnik GmbH im Gewerbegebiet Camp Spich hält als Innovationsschmiede für Sensoren in Polymertechnik und Kunststoff-Spritzgusstechnik 40 Patente. PGT-Technologie aus Troisdorf ist weltweit im Einsatz – zum Beispiel in den Elektromotoren von E-Fahrzeugen und Industriebetrieben, in Geräten der Medizintechnik, in Haushaltsgeräten und in der Energieversorgung.
PGT: Innovative Sensor-Lösungen aus Troisdorf weltweit im Einsatz
Das 2004 gegründete Unternehmen firmiert seit 2016 unter dem Dach des weltweit aktiven Familienkonzerns JUMO GmbH & Co. KG. Mit den beiden Unternehmensgründern und PGT-Geschäftsführern Günter Grommes und Sven Trompetter sprachen pro Troisdorf-Vorstandsvorsitzender Christian Seigerschmidt und Carsten Seim, avaris | konzept, über Geschäftsfelder sowie Zukunftsperspektiven des Unternehmens und die Frage, warum es so innovativ ist. Das Interview fand statt zur Vorbereitung eines Unternehmer-Frühstücks des Unternehmer-Clubs pro Troisdorf und der Wirtschaftsförderung TROWISTA am 29. Februar.
Herr Grommes, Herr Trompetter, mit welchem Plan haben Sie Ihr Unternehmen 2004 gegründet?
Grommes: Die Gründung der PGT im Jahr 2004 in der Oberlarer Landgrafenstraße mit damals drei Mitarbeitern erfolgte mit dem Ziel, Kunststoff-Spritzgusstechnik sowie als zweites Geschäftsfeld Mess- und Regeltechnik zu entwickeln und zu verkaufen.
Seit 2008 sitzt das Unternehmen in der Camp-Spich-Straße 65 und 69 a und beschäftigt heute 30 Mitarbeitende. Über diese angestammten Geschäftsfelder hinaus entwickelten wir die Idee, Temperatursensoren aus Kunststoff zu entwickeln.
Was war neu an Sensoren aus Kunststoff?
Trompetter: Sensoren gab es bis dahin nur in Metallbauweise – in der Regel sind sie in Hülsen aus Edelstahl eingebettet. Anfangs waren wir mit großen Bedenken konfrontiert, dass es nicht gehe, sie in Kunststoffbauweise herzustellen: zu niedriger Schmelzpunkt und fehlende Wärmeleitfähigkeit dieses Materials. Wir haben an dem Projekt festgehalten. 85 Prozent der Temperaturmessstellen weltweit liegen in Umfeldern unter 200 Grad. Elastomere“ mit Eigenschaften herstellen, die unseren Ansprüchen an Funktionalität und Verarbeitbarkeit im Spritzgussprozess gerecht werden.
Welche Vorteile haben Kunststoffsensoren gegenüber solchen aus Metall?
Trompetter: Sensoren mit Metallhülse müssen mit hohem manuellem Aufwand produziert werden; bei Kunststoff kann die Fertigung vollständig oder teilweise automatisiert erfolgen. Unsere Sensoren sind erschütterungsfest, weil sie komplett in Kunststoff eingekapselt sind. Sie können Kunststoffsensoren in beliebigen Designs realisieren, die mit Drehen oder Fräsen von Metall nicht herstellbar wären. Wir können Kunststoffen Additive zusetzen und damit viele verschiedene gewünschte Eigenschaften realisieren – zum Beispiel bei der thermischen oder elektrischen Leitfähigkeit.
Grommes: Wir erreichen durch Kunststofftechnologie auch eine hohe Spannungsfestigkeit von bis zu 8000 Volt. Das ist wichtig zum Beispiel für Motoren von E- Fahrzeugen oder in der Industrie. Auf deren Wicklungen liegen bis zu 1000 Volt an. Unsere Kunststoffsensoren sind zudem flammwidrig ausgelegt.
Ein anderes Beispiel sind Kaffeemaschinen: Unsere Kunststoffsensoren lassen sich nahtlos in die ebenfalls aus Kunststoff bestehende Brühbaugruppe eingießen. Damit reduzieren wir Fehlerpotenziale, weil der Fühler nicht mehr undicht werden kann. Immer komplexere Infotainment-Systeme in Fahrzeugen benötigen Wasserkühlungen. Wir bieten Zulieferern der Autoindustrie auf Basis unserer Kunststoffsensor-Technik Lösungen dafür an, die nahtlos in Umgebungen aus Kunststoff integriert werden können.
Wir verbinden Spritzguss- und Messtechnik. Deshalb macht die Verbindung unserer beiden Geschäftsfelder Sinn.
Ihre Zukunftsperspektive?
Trompetter: Der Sensormarkt wächst jedes Jahr um 10 Prozent. Denn es wird immer mehr gemessen. Wir entwickeln Sensoren für diverse Einsatzfelder – zum Beispiel Temperatur, Druck, Feuchte, Durchfluss, Kraft und weitere oder Kombinationen von diesen – sogenannte Multisensorik. Durch unsere designfreie Kunststofftechnologie können Sensoren auch dort eingebaut werden, wo sie in der herkömmlichen Metalltechnologie keinen Platz fänden. Wir bleiben weiter auf dem Weg, innovativ zu denken. Arbeitsfelder sind hier neue Wege der Sensorintegration und biometrische Sensoren.
Und woher schöpfen Sie Ihre Ideen?
Grommes: Die besten Ideen kommen uns im Alltag. Jüngst hörte ich in den Nachrichten von K.O.-Tropfen, die unbemerkt in ein Glas gegeben werden. Dafür wären Sensoren in Gläsern denkbar, die Manipulationen in unbeobachteten Momenten registrieren. Unser nächster Schritt: Wem könnte man eine solche Lösung anbieten? Wir nennen das intern „Inspiration der Unzufriedenheit“. Danach fragen wir auch unsere Kunden: „Welche Probleme würden Sie gern lösen, wenn Sie könnten?“ Das nennen wir kognitive Empathie. Wir müssen den Kunden und seine Anliegen erst vollumfassend verstehen, um dann eine gemeinsame Lösung zu entwickeln. Oft gehen unsere Lösungen weit über das hinaus, was der Kunde haben wollte.
In welche Richtung bewegt sich Ihre Kunststoffsensor-Innovation derzeit?
Grommes: Aktuell arbeiten wir an Folien mit integrierten Sensoren. Wir drucken auf diese Folien mit „intelligenter“ leitfähiger Tinte.
Warum können diese Kunden das nicht selbst?
Trompetter: Ingenieure sind nicht selten sicherheitsfixiert und bewegen sich in eingefahrenen Bahnen. Wirklich innovativ ist aber nur, wer heilige Kühne zu schlachten bereit ist. Ein Beispiel: Lange Zeit war es ein Dogma, dass Sensoren in Dialysegeräten aus Keramik sein müssen. Heute sind sie aus Kunststoff, den wir in Troisdorf entwickelt haben. In der ABS-Bremstechnik hielt man es für gesetzt, dass Stößel, die das gewünschte Bremsstottern verursachen, aus Titan sein müssen. Heute sind sie aus hochtemperaturfestem Kunststoff mit Kohlefaseranteilen.
Unsere Kunden produzieren basierend auf unserer Technologie jährlich 250 Millionen Stück davon! Möglich gemacht hat das auch eine von uns patentierte Spritzgusstechnologie, die für die notwendige Prozesssicherheit in der Produktion dieser Kunststoffstößel sorgt.
Warum sind Sie so innovativ?
Trompetter: Wir arbeiten mit unseren Mitarbeitern intensiv am Kulturwandel im Unternehmen. Wir ermutigen Mitarbeiter, sich für vermeintliche Randthemen jenseits
althergebrachter Studien- oder Ausbildungsinhalte zu begeistern und kommunizieren mit ihnen auf Augenhöhe. Dabei setzen wir auch neurowissenschaftliche Methoden ein, um jenseits fachlicher Qualifikationen wie Kunststofftechnologie oder Elektrotechnik das Denken und die Ideenfindung zu trainieren. Nach unserer Erfahrung erreichen wir damit 20 bis 30 Prozent der Mitarbeiter. Das reicht aber aus, um auf dem Rest des Teams auszustrahlen. Deshalb sind wir kreativer als andere.
Was raten Sie Unternehmen, die innovativer werden wollen beziehungsweise müssen?
Grommes: Ein wichtiges Schlagwort ist hier die Ambidextrie – der Begriff steht für die Fähigkeit, gleichzeitig das Kerngeschäft zu optimieren – „Exploitation“ – und zugleich radikal Neues zu erkunden –„Exploration“. Letzteres ist wichtig, um in disruptiven Entwicklungen vor der Kulisse von Megatrends wie beispielsweise Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Machine Learning, dem industriellen Internet der Dinge und der Miniaturisierung bestehen zu können. Am besten trennen Unternehmen bestehende Strukturen ihres Kerngeschäfts und Bereiche, die radikale Innovation vorantreiben sollen, komplett voneinander. Dies ist besonders wichtig, um eine Infektion des innovativen Bereichs durch festgefahrene Meinungen, Ängste, Bedenken, Sorgen und Nöte, also innovationsschädliche Einflussnahme, zu verhindern. Die Innovatoren im Unternehmen sollten ihre Aufgabenstellung, ihre Budgets und Freigaben direkt von der obersten Unternehmensleitung bekommen. Ebenso ist es wichtig, dass der Innovationsbereich nichts vom Stammhaus verwendet, auch wenn die Verlockung groß ist. Stattdessen bedient er sich immer eigener oder externer Ressourcen, damit sichergestellt ist, dass alles, was gedacht wird und beschafft werden soll, vom Charakter her „neu“ ist. Zu empfehlen ist die Zusammenarbeit mit externen Spezialisten auch anderer Fachgebiete, die ihre jeweilige Teilkompetenz einbringen.
Zurück zur geschäftlichen Gegenwart: Welche Kundengruppen haben Sie?
Trompetter: Wir entwickeln und produzieren beispielsweise für den Automotive-Sektor, für Hersteller von Ladesäulen für E-Fahrzeuge, Produzenten Weißer Ware – Haushaltsgeräte –, die Medizintechnik, Unternehmen aus dem Bereich Heizung-Klima-Lüftung, Maschinenbauer, Wasserstofftechnologie-Firmen und liefern auch Komponenten für den Stromtransfer aus Windenergie. Wichtig für uns: Unsere Kunden müssen über nachhaltigen Stückzahlbedarf verfügen, damit sich unsere aufwändige Entwicklung auch lohnt. Sie sind seit 2016 ein Tochterunternehmen des JUMO-Familien-Konzerns – global aktiver System- und Lösungsanbieter der industriellen Sensor- und Automatisierungstechnik.
Wie kam es dazu?
Grommes: JUMO hatte zuvor bereits zu unseren Lieferanten gezählt. Wir sind bisher die einzige von heute 25 JUMO-Tochtergesellschaften, die JUMO zugekauft hat. Über den Kauf der PGT hat sich JUMO unsere patentgeschützten Technologien aus Troisdorf gesichert. Für uns war der Verkauf und damit der Weg unter das Dach der JUMO Group sinnvoll, weil dieser Familienkonzern einen exzellenten weltweiten Vertrieb hat und rund um den Globus Fertigungsstätten unterhält, die auch PGT-Technologie aus Troisdorf produzieren können. Wir haben die JUMO-Vertriebsmitarbeiter aufwändig qualifiziert, weil diese bis dahin darauf konzentriert waren, vorhandene Standardprodukte ihres Konzerns zu verkaufen. Unser Ansatz ist – wie bereits ausgeführt – ein anderer: Wir denken darüber nach, was der Kunde für seine Zukunft braucht, und entwickeln neue Ideen und Lösungen dafür.
Was tun Sie für Ihr Employer-Branding?
Trompetter: Wir nehmen unsere Mitarbeiter wie bereits ausgeführt im intensiven Dialog mit und haben deshalb auch keine Probleme, sie zu halten und neue zu gewinnen. Einsteigern und auch den eigenen Mitarbeitern machen wir immer wieder bewusst, dass sie bei PGT neben ihren rein fachlichen Kenntnissen zusätzlich auch Wissen erlangen, das auf die Entwicklung ihrer persönlichen Kompetenz einzahlt. Unsere Führungskräfte verstehen sich deshalb auch als Potenzialentfaltungscoaches und sind dementsprechend geschult. Bei uns stehen viele persönliche Weiterbildungsangebote zur Verfügung, die wir oft selbst durchführen und die gezielt auf die Vision des Unternehmens ausgerichtet sind, aber auch den persönlichen Wissensfundus der Mitarbeitenden erweitern. Aus der Neurowissenschaft wissen wir, dass „Begeisterung“ ein Schlüsselelement für Erfolg ist. Wir finden und halten Mitarbeitende, weil wir ihnen bewusst machen, dass das menschliche Gehirn ein Leben lang bis ins hohe Alter neue Verknüpfungen bilden kann, wenn das Schlüsselelement „Begeisterung“ hinzukommt.
Interview: Christian Seigerschmidt, Carsten Seim