Dienstag, 15. September 2020 Ulrich Reifenhäuser: „In der Summe trifft die Corona-Krise unsere Unternehmensgruppe nicht so sehr.“
Ulrich Reifenhäuser ist Geschäftsführender Gesellschafter der Reifenhäuser Gruppe. In der Geschäftsführung ist er für den Vertrieb verantwortlich. Mit Christian Seigerschmidt, Vorstandsvorsitzender des Unternehmer-Clubs pro Troisdorf, und Carsten Seim, Avaris | Konzept, sprach er über die Folgen der Corona-Krise in seinem Unternehmen.
Herr Reifenhäuser, wie wirkt sich die Corona-Krise auf Ihre geschäftliche Aktivität aus?
Ulrich Reifenhäuser: In der Summe trifft die Corona-Krise unsere Unternehmensgruppe nicht so stark. Ein Bereich erzielte sogar große Umsatzzuwächse. Die Reifenhäuser Reicofil stellt Maschinen zur Produktion von Spinnvlies und Meltblown her. Letzteres ist das entscheidende Filtermaterial in Mund-Nasen-Masken, das gerade zu Beginn der Pandemie einer der Engpässe war. Die Nachfrage nach diesen Anlagen ist also extrem gestiegen. Aber auch Extrusions-Anlagen, die Folien für die Verpackungsindustrie herstellen können, sind aktuell gefragt. Während des Lock-Downs haben die Leute wieder zu Hause gekocht und vermehrt sicher verpackte Lebensmittel eingekauft.
Und wo sieht es weniger gut aus?
Reifenhäuser: Wir produzieren auch einzelne Komponenten für Extrusions-Anlagen – für unsere eigenen aber auch für den freien Markt. Für die Schnecken und Zylinder, dem Herzstück von Extrudern, ist zum Beispiel die Spritzgussindustrie ein wichtiger Kunde, die wiederum eng mit der Automobilindustrie verzahnt ist. Hier schlägt die Krise voll durch: Wir mussten in den vergangenen Monaten einen Umsatzeinbruch von 50 Prozent hinnehmen.
Auch unsere beiden Folienbereiche haben einen Umsatzeinbruch hinnehmen müssen. Glücklicherweise haben wir in der Zeit vorher gut gewirtschaftet und bei speziellen Folien-Anwendungen hatten wir eben auch einen positiven Effekt wegen Corona.
Warum?
Reifenhäuser: Zum einen wegen des bereits beschriebenen Wachstums im Bereich der Lebensmittelverpackungen. Das Konsumverhalten hat sich während der Pandemie verändert und die Menschen haben Sicherheit in dieser Zeit klar vor das Thema Nachhaltigkeit gestellt.
Zusätzlich hatten wir in dieser Zeit eine Phase sehr niedriger Ölpreise – dem Rohstoff für Polyethylen und Polypropylen. Daraus werden diese Folien hergestellt. Für unsere Kunden ist die Marge damit gestiegen. Das stärkt natürlich die Investitionsneigung von Folienproduzenten. Wir hatten in diesem Sektor in den vergangenen Monaten fast ein normales Geschäft bei den Maschinen. Es könnte noch besser sein, wenn es nicht gewisse Unsicherheiten gäbe, die die Investitionsbereitschaft unserer Kunden natürlich drücken.
Welche sind dies?
Reifenhäuser: Im Folien-Sektor sind das vor allem zwei Dinge: Zum einen die aktuellen Spannungen zwischen den großen Industrienationen USA und China. Zum anderen die Sorge vor einer zweiten Corona-Welle.
Im Vliesstoff-Sektor sieht das anders aus. Denn hier wird ja vor allem aufgrund der Krise investiert. Meltblown, für dessen Produktion wir die Anlagen bauen, ist das wichtigste Material für Mund-Nasen-Masken. Produktionskapazitäten für Meltblown gab es aber in Europa zu Beginn der Pandemie praktisch nicht. Weil diese Kapazitäten nun weltweit schnell aufgebaut werden müssen, erreichte uns innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Anfragen. Was mich besonders freut: Seit Mitte Juni gehen die ersten Anlagen auch nach Deutschland und sind teilweise bereits in Betrieb.
Wie bewältigen Sie diese Auftragsflut?
Reifenhäuser: Wir haben unsere internen Prozesse und Kapazitäten sehr schnell angepasst, um dem Auftragsvolumen gerecht zu werden und die Lieferzeiten in einem vertretbaren Rahmen zu halten. Schließlich ist die Versorgung des medizinischen Personals und der Bevölkerung mit sicherer Schutzausrüstung auch von unserer Performance abhängig. Mitarbeiter aus anderen Business Units unterstützen deshalb aktuell bei der Reicofil. Hier profitieren wir sehr davon, dass wir eine Unternehmensgruppe sind, in der sich alle Mitarbeiter mit Extrusion auskennen. So konnten wir einzelne Fachkräfte in den überlasteten Bereich umschichten. Wir haben außerdem zusätzliches Personal eingestellt und werden zukünftig vor allem bei der Montage der Anlagen auch mit Partnern zusammenarbeiten. Die Lieferzeiten sind aber nur eine Herausforderung. Wir haben eine Vielzahl ganz neuer Kunden, die sich in der Materie noch überhaupt nicht auskennen. Teilweise verweisen Regierungen aus Ländern wie Frankreich, Norwegen oder China Interessenten an uns, weil diese Regierungen den Kauf der Anlagen derzeit fördern, um eigene Kapazitäten für Schutzmaterial aufzubauen. Wir müssen also – viel stärker als bei unseren bisherigen Kunden – Funktionen erklären, Installationen vorbereiten und Bedienpersonal schulen.
Selbst Chinesen bestellen hier in Troisdorf Meltblown-Maschinen?
Reifenhäuser: Ja. Selbst die Chinesen, die ja auch selbst Vliesstoffanlagen herstellen, nehmen den höheren Preis in Kauf, weil sie um die besondere Zuverlässigkeit unserer Maschinen und die Qualität des Meltblowns wissen. Diese konstant hohe Qualität ist für den zuverlässigen Schutz vor Viren essenziell.
Noch einmal zurück zum plötzlichen Auftragsstau – wo liegen die Engpässe genau?
Reifenhäuser: Die Bottlenecks liegen ganz vorn und ganz hinten. Der erste Engpass sind die Projektingenieure. Sie reden mit Kunden und erfragen den genauen Bedarf oder formulieren kompakte Konzepte, die zusammenfassen, was der Kunde braucht. Ein solcher Ingenieur kann nur eine begrenzte Anzahl von Aufträgen gleichzeitig führen. Die Fertigung der Maschinen ist dann tatsächlich kein Problem. Wir haben erprobte Fertigungspartner in der Umgebung, die wir in Anspruch nehmen können, wenn die Kapazitäten nicht reichen. Ein weiterer Engpass ist allerdings das Aufbauen der Maschinen inklusive Inbetriebnahme und Schulung auf Kundenseite. Hier sind Spezialisten gefragt. Und natürlich ist es in Corona-Zeiten ohnehin eine Herausforderung, ins Ausland zu reisen, um dort mit einem Team Anlagen zu montieren und in Betrieb zu nehmen.
Die Masken-Engpässe der Vergangenheit haben zu sehr hohen Preisen für Mund- und Nasenmasken geführt. Wie haben Sie es bei der Preisgestaltung Ihrer Maschinen in der Corona-Krise gehalten?
Reifenhäuser: Das stimmt. Viele Händler haben sich geradezu an der Krise bereichert. Masken, die pro Stück normalerweise 5 bis 15 Cent kosten, sind teilweise für fünf Euro verkauft worden. Wir haben für unsere Maschinen keine überhöhten Corona-Preise aufgerufen, sondern die marktüblichen. Allerdings haben wir in einigen Fällen den Preis leicht angehoben und damit unseren Mehraufwand eingepreist, der für sehr umfassende Beratungen der unerfahrenen Produzenten entstanden ist.
Die Firma Innovatec in Troisdorf hat auch Reifenhäuser-Maschinen für die Maskenproduktion geordert …
Reifenhäuser: Diese Maschinen sind bereits geliefert. Die Innovatec ist ein langjähriger, guter Kunde von uns. Sie zählt zu den weltgrößten Meltblown-Herstellern.
Diese Corona-Sonderkonjunktur bei Meltblown-Maschinen wird irgendwann vorbei sein. Wie blicken Sie auf die Zeit danach?
Reifenhäuser: Die enorme Nachfrage wird sich natürlich wieder normalisieren. Ich glaube aber, dass das Tragen von Masken, das in Asien für viele längst selbstverständlich ist, auch in Deutschland bleiben wird. Meltblown ist ein unverzichtbarer Grundstoff für Masken, die wirksamen Schutz bieten. Insofern wird der Maschinenbedarf hier auch auf Dauer höher bleiben als bisher.
Hatten Sie Probleme mit Lieferketten?
Reifenhäuser: Bei uns gab es kleinere, aber nicht wirklich relevante Engpässe bei Motoren und Getrieben. Nichts Dramatisches. Wir konnten Maschinen ausliefern und haben eventuell fehlende Komponenten im Zuge des Aufbaus nachgeliefert.
Wie gehen Sie im eigenen Hause mit Covid-19 um?
Reifenhäuser: Wir haben ein Krisenmanagement-Team, ein Hygienekonzept und wir folgen den Empfehlungen von Spezialisten. Wo wir die Abstandsregeln nicht einhalten können herrscht Maskenpflicht. Und das funktioniert. Wenn möglich, versuchen wir natürlich auch persönlichen Kontakt zu vermeiden: Wie wahrscheinlich die meisten Unternehmen, nutzen auch wir die digitalen Möglichkeiten für Besprechungen viel intensiver als noch vor der Krise. Über wichtige Änderungen oder neue Regeln informieren wir die Mitarbeiter zeitnah und regelmäßig über verschiedene Kanäle. Für den Fall, dass es einmal besonders schnell gehen muss, haben wir eine Corona-Whatsapp-Gruppe eingerichtet. Wir arbeiten hier unaufgeregt und sehr effektiv.
Wir hatten im zweiten Quartal einen BIP-Einbruch von 10 Prozent. Wie blicken Sie in die Zukunft?
Reifenhäuser: Diese Zahl ist noch geglättet, weil hier das gute Geschäft der Vormonate mit eingeflossen ist. Wir werden in diesem Jahr eine starke Rezession erleben.
Sie sind nach schwierigen Momenten als Unternehmen gestärkt aus der Krise 2008/2009 hervorgegangen. Wie schätzen Sie die Risiken von Corona im Vergleich zur vorangegangen Weltwirtschaftskrise ein?
Reifenhäuser: Diese Pandemie ist in ihren Auswirkungen unberechenbarer als die zurückliegende Finanzkrise. Das Thema „Finanzen“ war am Ende analysierbar und besser prognostizierbar. Wir wissen nicht, wann ein Impfstoff kommt. Und wir werden wohl auch nicht in der Lage sein, die ganze Welt zu impfen. Ich meine, dass wir Medikamente zur Behandlung dieser Erkrankung brauchen, damit sie kalkulierbarer wird. Dann wird sich die Lage beruhigen.
Mit welchen Gefühlen schauen Sie nach 2021?
Reifenhäuser: Ich habe da keinerlei Weltuntergangsstimmung. Ja, wir haben derzeit eine Krise. Ich hoffe nicht, dass eine zweite Welle kommen wird. Ein zweiter Lockdown wäre wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht machbar. Deutschland steht allerdings wesentlich stärker da als andere Länder. Klar ist aber auch: der Staat kann nicht ewig weiter Geld drucken.
Vor der Pandemie gab es eine massive Kampagne gegen Kunststoffe. Darum ist es aktuell ruhiger geworden …
Reifenhäuser: Diese Thema wird wieder kommen. Momentan sind viele froh, dass sie hygienische Kunststoffverpackungen haben. Aber das Recycling-Problem besteht ja nach wie vor. Ich werbe für Verfahren, die es uns erlauben, Kunststoffe sortenrein wieder zu recyceln. Nicht recycelbare Kunststoffe müssen und werden verschwinden. Technisch ist da schon viel machbar. Wir müssen es nur wollen! Dafür werbe ich in Verbänden wie dem VDMA. Und ich bin laut!
Interview: Christian Seigerschmidt, Carsten Seim
Info Reifenhäuser
- Interviewpartner: Ulrich Reifenhäuser, ist seit 1993 Geschäftsführer Vertrieb und Mitinhaber der Reifenhäuser GmbH & Co. KG in Troisdorf. Er studierte an der Universität Köln (1978-1983) und erlangte dort seinen Masterabschluss der Betriebswirtschaftslehre.
- Unternehmen: Die Reifenhäuser Gruppe ist der führende Anbieter innovativer Technologien und Komponenten für die Kunststoffextrusion. Das 1911 gegründete Unternehmen liefert Hightech-Lösungen in die ganze Welt. Mit seinen Technologien und dem Know-how der 1.600 Mitarbeiter ermöglicht die Reifenhäuser Gruppe die Produktion von Blasfolien, Gießfolien, Glättwerksfolien, Vliesstoffen und Komponenten.
- Struktur: Die Reifenhäuser Gruppe ist eine GmbH & Co. KG mit verschiedenen Business-Units. Sie beschäftigt weltweit rund 1600 MitarbeiterInnen, davon rund 900 am Hauptsitz in Troisdorf.