Interview mit Dr. Wolfgang Kaissl und Dirk Bakemeier (Varian Medical Systems Particle Therapy GmbH)

Mittwoch, 28. Juni 2017 Interview mit Dr. Wolfgang Kaissl und Dirk Bakemeier (Varian Medical Systems Particle Therapy GmbH)

Interview mit Dr. Wolfgang Kaissl und Dirk Bakemeier (Varian Medical Systems Particle Therapy GmbH)

„Beste Rahmenbedingungen“

Varian Medical Systems Particle Therapy GmbH stellt in Troisdorf innovative Teilchenbeschleuniger für die Tumortherapie her. Diese arbeiten mit Protonen, den Kernen von Wasserstoffatomen. Damit lässt sich die DNA von Krebszellen zielgenau zerstören. Gleichzeitig wird das umliegende gesunde Gewebe geschont. Das Unternehmen forscht und entwickelt in Troisdorf und arbeitet derzeit an der nächsten Gerätegeneration. Die Varian Medical Systems Particle Therapy GmbH, in Bergisch Gladbach noch ansässig unter dem Namen ACCEL Instruments GmbH, zog im Jahr 2014 komplett nach Troisdorf um, wo sie an der Landgrafenstraße bereits eine Produktionsstätte unterhielt. Christian Seigerschmidt, Vorstandsvorsitzender des Unternehmer-Clubs pro Troisdorf, und Carsten Seim interviewten den Physiker Dr. Wolfgang Kaissl, einer der beiden Geschäftsführer der Varian Medical Systems Particle Therapy GmbH, und den Maschinenbauingenieur Dirk Bakemeier, der das operative Geschäft leitet. Varian Medical Systems ist am 28. Juni Gastgeberin eines Unternehmer-Frühstücks von pro Troisdorf und der TROWISTA. Schwerpunkte des Gesprächs waren die Protonen-Technologie in der Krebstherapie und die Zukunftsperspektiven des Unternehmens am Standort Troisdorf.

Warum haben Sie sich mit Ihrem Hightech-Unternehmen für den Standort Troisdorf entschieden?

Bakemeier: Wir haben einen breitgefächerten Personalbedarf. Die Palette reicht von akademischen Berufen wie Physikern und Ingenieuren bis hin zu technischen Einkäufern; wir beschäftigten auch Facharbeiter. In der Rheinschiene finden wir sehr gutes Personalangebot.

Kaissl: Natürlich haben wir auch andere mögliche Standorte analysiert, die medizintechnisch einiges zu bieten haben. Für die Rheinschiene spricht, dass hier Universitäten in der Nähe sind, die sich mit Teilchenbeschleunigung oder verwandten Gebieten befassen – zum Beispiel die Universität Bonn und das Kernforschungszentrum Jülich. Ein weiteres Argument für Troisdorf: Unser Vorgängerunternehmen ACCEL war in Bergisch-Gladbach aktiv. Da wir die hochqualifizierte Belegschaft nicht verlieren wollten, wurde der Standort Troisdorf aktiv ausgesucht. Zudem standen in Troisdorf große Hallen zur Verfügung, die wir für unsere Entwicklung und Produktion brauchen, eine ideale Infrastruktur. Kurzum: Wir treffen in Troisdorf die besten Rahmenbedingungen an.

Das Leitmotiv unseres Clubs lautet: „Vernetzt mehr erreichen.“ Wie interpretieren Sie diesen Satz für sich?

Bakemeier: Troisdorf hat ein ziemlich starkes Firmennetzwerk mit einem breiten Angebot.

Kaissl: ... und wir finden hier in der Rheinschiene Arbeitskräfte mit einem sehr guten Niveau vor – von Handwerksberufen bis hin zu Universitätsabsolventen.

Sie bauen Geräte für die Strahlentherapie mit Protonen. Wer hat das Verfahren eigentlich erfunden?

Kaissl: Physikalisch ist die Technologie schon länger bekannt. Die Entwicklung der Protonentherapie begann bereits vor über 60 Jahren. 1946 berichtete der Physiker Robert Wilson erstmals über das große Potenzial der Protonen für eine medizinische Nutzung. Die ersten Protonen-Bestrahlungen wurden an den Universität Berkeley durchgeführt. Es dauerte über 40 Jahre, bis die erste rein medizinische Anlage gebaut wurde.

Und warum stehen wir erst jetzt an der Schwelle zu einer größeren Verbreitung?

Kaissl: Die Geräte waren anfangs so groß wie Gebäude. Sehr hohe Kosten und die Berechnung der Strahlendosis stellten Probleme dar. Zudem fehlten geeignete Bildgebungsverfahren, um Tumoren ausreichend exakt zu lokalisieren.

Welche Vorteile haben Ihre Bestrahlungsgeräte, die mit Protonenstrahlen arbeiten, gegenüber herkömmlichen Photonenstrahlern, die in der Krebstherapie schon seit langem eingesetzt werden? 

Kaissl: Protonen durchdringen das Gewebe, lassen sich sehr genau auf den Tumor lenken und stoppen zielgenau in diesem oder im Tumor. Das gesunde Gewebe hinter dem Tumor wird vom Protonenstrahl nicht betroffen. Schichtweise lässt sich damit so der Tumor zerstören, und die gesunde Körperumgebung wird hierbei geschont. Das setzt eine sehr gute Bildgebung voraus, damit der Tumor auch zielgenau bestrahlt wird.

Welche Bildgebungsverfahren nutzt man?

Kaissl: Man benötigt hierfür die Computer Tomographie (CT); MRT und PET werden ebenfalls verwendet. Diese Bilder werden dazu benötigt, den Tumor zu lokalisieren und die Protonenbehandlung dann genau zu planen und optimieren. Die berechneten Daten werden dann im Protonen- Bestrahlungsgerät umgewandelt und in eine hochpräzise Behandlung umgesetzt.

Was genau produzieren Sie in Troisdorf?

Bakemeier: Wir stellen hier die technischen Herzstücke unserer Geräte her: Diese sind das Zyklotron: der Protonenbeschleuniger – und die Scanning Nozzle: das ist der Teil des Gerätes, der die Therapie steuert und der den Strahl präzise in den Tumor lenkt.

Wie hoch ist Ihre Jahresproduktion?

Bakemeier: Wir stellen zwischen fünf und sieben Systeme her. Diese Geräte werden dann an unsere Kunden weltweit versandt.

Um wie viel teuer sind diese Geräte im Vergleich zu herkömmlichen Photonenstrahlern?

Kaissl: Eigentlich kann man das nicht vergleichen, weil es sich um völlig andere Geräte handelt. Sicher sind PT-Geräte wesentlich teurer, aber es können Behandlungen gemacht werden, die mit dem herkömmlichen System nicht durchführbar sind.

Wer kommt für die Protonentherapie, die im Ergebnis ja wesentlicher teurer sein muss, in Frage?

Kaissl: Die Protonen-Technologie ist bis auf wenige Ausnahmen eine vorteilhafte Option, da wesentlich mehr gesundes Gewebe geschont wird. Es gibt Tumorarten, die sich auch gut mit Photonen behandeln lassen, hier wäre der teurere Einsatz von Protonen kommerziell nicht sinnvoll. Auf der anderen Seite gibt es zum Beispiel Gehirntumoren, die nur mit Protonen behandelbar sind, weil hier eine sehr hohe Zielgenauigkeit gefordert ist. Ähnlich verhält sich das bei Augentumoren, wo die PT Therapie die einzig anwendbare Strahlenbehandlung ist. Auch bei Kindern, die eine Lebenserwartung von 60 oder 70 Jahren haben, sind Protonen in vielen Fällen vorzuziehen. Denn hier ist die Gefahr eines Rückfalls infolge einer Strahlentherapie deutlich geringer als bei einer Photonentherapie.

Und was ist mit den Nebenwirkungen herkömmlicher Strahlentherapien?

Kaissl: Die medikamentösen Aufwände zur Behandlung der Nebenwirkungen von Photonenbestrahlungen sind deutlich höher als bei Protonenbestrahlung. Eine Studie des MD Anderson-Krebsforschungszentrums der Universität Texas kommt zu dem Schluss, dass herkömmliche Behandlungen mit Photonen wegen der erforderlichen Nachbehandlungen unterm Strich teurer sind als die Protonentherapie. Das Problem scheint zu sein, dass sich unser Gesundheitssystem mit Investitionen in Geräte schwerer tut als mit den laufenden Kosten für die Behandlung. Eine Reduktion von Nebenwirkungen hat eine hohe positive Auswirkung auf die Lebensqualität der Patienten.

Was kostet denn eine Protonentherapie?

Kaissl: Rund 15.000 Euro sind die reinen Bestrahlungskosten in Deutschland. Damit ist die Behandlung mit Protonen teurer als eine Behandlung mit Photonen, kann aber kosteneffektiver als eine Chemotherapie sein, da bei dieser auch teure Medikamente eingesetzt werden. Diese Kostenstrukturen sind weltweit in etwa die gleichen.

Wo stehen denn Protonen-Bestrahlungsgeräte in unserer Region?

Kaissl: Eine Anlage steht in München am RPTC, weitere Standorte sind Heidelberg, Dresden, Berlin und Marburg. NRW hat ein Zentrum in Essen.

Muss man auch das medizinische Personal dafür ausbilden?

Kaissl: Ärzte und Physiker lassen sich in angemessener Zeit spezialisieren. Varian Medical Systems unterstützt Institutionen bei der Weiterbildung und informiert auch bei internationalen Kongressen.

Wie hoch schätzen Sie den Bedarf in Deutschland?

Kaissl: Derzeit haben in Deutschland weniger als ein Prozent aller Patienten, die eine Strahlentherapie brauchen, Zugriff auf Protonenbestrahlung. Bei knapp unter 20 Prozent aller Patienten sagen Fachleute heute, dass Protonentherapie bei ihnen vorteilhaft wäre. Das heißt: Gut 19 Prozent bekommen diese Therapie nicht, obwohl sie davon profitieren würden.

Müsste die Politik stärkeren Druck ausüben, damit die erforderlichen Investitionen getätigt werden?

Kaissl: Ich möchte hier auf die Aufgabe aufmerksam machen, die sich uns als Industrie stellt. Wir müssen es schaffen, die Einzelpreise für die Geräte zu senken. Zudem sollte die Entwicklung dahin gehen, noch konzentrierter mit höheren Strahlendosen zu arbeiten und so die Zahl der Einzelbehandlungen zu reduzieren. Bei einer gegebenen Zahl von Geräten bekommen so mehr Patienten Zugang zur Protonentechnologie.

Wie beurteilen Sie die Zukunftsperspektiven von Varian Medical Systems in Troisdorf? Wollen und können Sie weiter expandieren?

Bakemeier: Der Bedarf ist angesichts der von Herrn Kaissl geschilderten Lage hoch. Wir haben die Schwelle vom Prototypen zur Serie in Troisdorf genommen und können die Effizienz in der Produktion und in unserer Beschaffungskette steigern. Weitere Produktionsreserven in Troisdorf haben wir, weil wir derzeit nicht im Schichtbetrieb arbeiten. Wir könnten auf Zwei- und oder Dreischichtbetrieb umstellen.

Sie haben jüngst einen Förderbescheid der Landesregierung erhalten. Wozu verwenden Sie die 10 Millionen Euro?

Bakemeier: Die Mittel stammen aus Förderbescheiden in Höhe von rund 10 Millionen Euro des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, EFRE. Sie dienen Forschungszwecken.

Kaissl: Diese Zusage haben wir unter der Voraussetzung erhalten, dass wir selbst rund 40 Millionen Euro aus eigenen Mitteln in die Forschung und Entwicklung investieren. Das heißt: Varian leistet den größeren Beitrag selbst, um eine neue Gerätegeneration zu entwickeln. Die öffentliche Anerkennung von vielen Seiten, die wir infolge des Förderbescheides erhalten haben, hat uns überw.ltigt und ist uns sehr wichtig. Wir ziehen hochqualifi zierte Arbeitskräfte nach Troisdorf und entwickeln nicht einfach nur eine neue Gerätegeneration, sondern eine ganz neue Technologie in Zusammenarbeit mit Universitäten.

Haben Sie die Hoffnung, dass wir in der Rheinschiene eine Wissens- Cluster-Bildung vergleichbar mit München erleben können?

Kaissl:  Die Zusammenarbeit von Forschung & Lehre und Wirtschaft ist eine Herausforderung. Alle Beteiligten können mehr Initiative und Be- reitschaft zur Kooperation zeigen. Es gibt gute Ansätze, aber noch ist das Netzwerk nicht ausreichend aktiv. Das Zusammenarbeitspotenzial zwischen den Hochschulen und der Industrie ist hoch und wird sich immer weiterentwickeln.

Ihr Konzerndach, die Varian Medical Systems Inc., sitzt am Apple- Standort Palo Alto. Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und F+E-getriebenen Unternehmen in den USA im Vergleich zu Deutschland?

Kaissl:  Vor allem die Kooperation zwischen Stanford und der IT-Branche ist in Palo Alto sehr eng. Viele deutsche Forscher schätzen ihre akademische Unabhängigkeit und das ist sicher wichtig für die Grundlagenforschung. Es braucht aber auch angewandte Forschung, die mit der Industrie zusammen betrieben wird. Dazu müssen die Universitäten verstehen lernen, was die Industrie braucht. Aber auch die Industrie muss lernen, was Institute ihr anbieten können, um neue und innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Diese Entwicklung ist im Gange, aber es braucht von beiden Seiten noch viel Arbeit, bis dieser Transfer auf breiter Basis geschieht und der Wissenstransfer zu marktorientierten Produkten gelingt.

Varian Interview  INTERVIEW ZUM UNTERNEHMERFRÜHSTÜCK 28. JUNI 2017 

Interview: Christian Seigerschmidt, Carsten Seim 

 

 

Fact Sheet Varian Medical Systems Particle Therapy GmbH

  • Geschäftsführer: Dr. Moataz Karmalawy und Dr. Wolfgang Kaissl; Dirk Bakemeier leitet das operative Geschäft.
  • Gründung: Im Jahr 1993 unter dem Namen ACCEL Instruments GmbH in Bergisch-Gladbach als Management-Buyout der Siemens-Interatom gegründet. Ursprünglich baute man in Troisdorf im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends Magnetstrecken für das Großforschungszentrum CERN in der Schweiz.
  • Info CERN: Das CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung, ist eine Großforschungseinrichtung bei Meyrin im Kanton Genf in der Schweiz. Das CERN betreibt das global größte wissenschaftliche Instrument: den Teilchenbeschleuniger LHC. Die Abkürzung CERN steht für „Conseil européen pour la recherche nucléaire“. Das ist der Name des Rates, der mit der Gründung der Organisation beauftragt war. Aktuell sind 22 Staaten daran beteiligt.
  • Konzernmutter: Seit 2007 arbeitet die Varian Medical Systems Particle Therapy GmbH unter dem Dach des amerikanischen Medizingeräteherstellers Varian Medical Systems, Inc. in Palo Alto, Kalifornien. Dieser beschäftigt weltweit mehr als 6000 Menschen. Ärzte und Zahnärzte, aber auch sonstige Selbständige und Gewerbetreibende branchenübergreifend.  
  • Produktion/Lager: auf rund 8000 Quadratmetern in Troisdorf. Ein- und bei Bedarf Zwei-/Dreischichtbetrieb.
  • Investitionen: In den kommenden Jahren werden rund 100 Millionen Euro für die Entwicklung einer neuen Gerätegeneration geplant.
  • Info Scanning: Beim Scanning-Verfahren scannt (to scan – abtasten) der Protonenstrahl den Tumor punktgenau und rasterartig ab. Dieses Verfahren ist sehr präzise. Quelle: Rinecker Proton Therapie Center http://bit.ly/2sMpYNT
  • Info Magnetresonanztomographie (MRT): Die MRT wird auch Kernspintomographie genannt. Sie arbeitet mit einem starken Magnetfeld. Wie bei einer Computer-Tomographie liegt der Patient in einer Röhre. Das Gerät nimmt schichtweise Bilder vom Körperinneren auf. Das Scanning-Verfahren für unsere Geräte wurde am Zentrum für Protonentherapie, am Paul Scherrer Institut (PSI), dem größten Forschungsinstitut für Natur- und Ingenieurwissenschaften in der Schweiz, entwickelt. Es erlaubt sehr kurze Bestrahlungszeiten und ist sehr präzise. Eine Sitzung dauert rund zehn bis 20 Minuten. Die reine Bestrahlungszeit bewegt sich unter einer Minute. Das ist medizinisch sehr vorteilhaft: Je kürzer die Bestrahlungszeit, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Patient bewegt.

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